Soziokulturelle vs. eigentumsrechtliche Aspekte der Erbschaftsteuer
Erbschaftsteuer im Spannungsfeld zwischen soziokulturellen und eigentumsrechtlichen Aspekten
Die Frage nach der Legitimität der Erbschaftsteuer gehört zu den beständig umstrittenen Themen moderner Steuerpolitik. Während sie in fiskalischer Hinsicht eine vergleichsweise geringe Bedeutung einnimmt, entfaltet sie eine umso größere symbolische Wirkung. Sie berührt grundlegende gesellschaftliche und rechtliche Fragestellungen: Wie viel Freiheit darf dem Einzelnen im Umgang mit seinem Vermögen zukommen? Welche Verantwortung besteht gegenüber der Gemeinschaft? Und darf der Staat die Erbschaftsteuer als Instrument des sozialen Ausgleichs einsetzen – oder überschreitet er damit die Grenzen eines freiheitlichen Rechts- und Wertesystems?
Das Vererben von Eigentum ist ein seit Jahrhunderten fest verankertes kulturelles Muster. Es dient nicht nur der Vermögensübertragung, sondern auch der Sicherung familiärer Kontinuität, der Weitergabe von Traditionen und der Erhaltung sozialer Bindungen. Erbschaften stiften Sinn, indem sie den individuellen Lebensweg in den Generationenzusammenhang einbetten.
Befürworter der Erbschaftsteuer sehen in ihr ein Mittel, um Chancenungleichheiten abzumildern, die allein durch Geburt entstehen. Da Erbschaften erhebliche Vermögenskonzentrationen begünstigen können, soll die Steuer den Fortbestand einer offenen Gesellschaft sichern oder auch – bei entsprechender Auslegung von Gerechtigkeit – unverdiente Privilegien begrenzen.
Gleichzeitig wird die Erbschaftsteuer von vielen als Eingriff in die familiäre Autonomie empfunden. Während Einkommen und unternehmerische Gewinne als „erarbeitete“ Werte gelten, wird die Erbschaft stärker mit familiärer Fürsorge und persönlichem Lebenswerk verbunden. Die gesellschaftliche Akzeptanz hängt daher maßgeblich von der Wahrnehmung ab, ob die Steuer als legitimer Beitrag zum Gemeinwesen oder als ideologisch motivierte Belastung verstanden wird.
Zunehmend wird aber die Erbschaftsteuer in der öffentlichen Debatte als plakatives Mittel gegen „Reiche“ präsentiert. Dies verschiebt die Begründung von der Sicherung des Existenzminimums schwacher Gesellschaftsmitglieder hin zu einer umfassenden Nivellierung zwischen Arm und Reich. Eine solche Überhöhung verleiht der Steuer einen ideologischen, teilweise radikalen Charakter, der über die Kernaufgabe des Sozialstaates hinausgeht. Der Sozialstaat nach dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet sich nicht auf Gleichmacherei, sondern auf Schutz und Hilfe in Notlagen. Insofern besteht die Gefahr, dass die Erbschaftsteuer ihre soziokulturelle Legitimität verliert, wenn sie primär als Kampfmittel der Umverteilung verstanden wird.
Das Eigentum genießt in liberalen Verfassungen einen hohen Stellenwert. Art. 14 Abs. 1 GG garantiert das Eigentum und schützt es als zentrales Freiheitsrecht. Eigentum gewährleistet Selbstbestimmung, Sicherheit und die Möglichkeit, individuelle Lebensentwürfe zu verwirklichen. Zugleich betont Art. 14 Abs. 2 GG: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Daraus ergibt sich eine Spannung zwischen individueller Freiheit und kollektiver Verantwortung.
Das Erbrecht ist in Art. 14 Abs. 1 GG ausdrücklich geschützt. Dies unterstreicht die Bedeutung der familialen Weitergabe von Eigentum als Bestandteil der Eigentumsordnung. Gleichwohl handelt es sich nicht um ein schrankenloses Grundrecht, sondern um eine institutionelle Garantie, deren Ausgestaltung dem Gesetzgeber obliegt. Das Erbrecht begründet daher keinen absoluten Anspruch auf steuerfreie Übertragung. Die entscheidende Frage lautet, wie weit die Sozialbindung reicht, ohne den Kerngehalt des Eigentums auszuhöhlen.
Eine Erbschaftsteuer bedeutet stets, dass der Staat einen Teil des Vermögens beansprucht, das nach den Vorstellungen des Erblassers der Familie zufallen soll. Aus eigentumsrechtlicher Sicht ist dies nur dann legitim, wenn ein hinreichend gewichtiger Gemeinwohlgrund vorliegt.
Eine Rechtfertigung als allgemeines Umverteilungsinstrument („die Reichen sollen zahlen, die Armen profitieren“) überschreitet hingegen die Schranken, die der Eigentumsgarantie gesetzt sind.
Die Erbschaftsteuer darf nicht zum Vehikel ideologischer Gleichmacherei werden. Ihre Berechtigung endet dort, wo sie nicht mehr funktional begründet wird, sondern zum Ausdruck eines gesellschaftspolitischen Umverteilungsdogmas wird. Zulässig ist sie nur, wenn sie verhältnismäßig bleibt, Freibeträge zum Schutz der familiären Grundsubstanz wahrt und im Einklang mit der Sozialpflichtigkeit des Eigentums steht.
Eine Balance kann gefunden werden, wenn die Steuer nicht als plakatives Gleichmachungsinstrument auftritt, sondern als maßvolle Begrenzung exzessiver Vermögenskonzentration. Freibeträge sichern den familiären Kernbereich, während hohe Erbschaften einen moderaten Beitrag zum Gemeinwesen leisten. So wird sowohl der Gedanke der Sozialpflichtigkeit gewahrt als auch die Freiheit der Eigentumsordnung respektiert.
Die Erbschaftsteuer ist nicht per se unvereinbar mit den Grundsätzen eines freiheitlichen Rechts- und Wertesystems, sie ist jedoch nur unter engen Voraussetzungen gerechtfertigt. Sie wird illegitim, wenn sie als ideologisch aufgeladenes Umverteilungsinstrument missbraucht wird. Ihre Berechtigung stützt sich ausschließlich auf die funktionale Rolle, die sie im Gefüge von Freiheit, Eigentum und Gemeinwohl spielt. In diesem Sinne ist sie als maßvolles, rechtlich gebundenes und sozial begrenztes Instrument akzeptabel – nicht aber als Vehikel politischer Gleichmacherei.