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Bundesverfassungsgericht weist Verfassungsbeschwerden gegen Rentenbesteuerung zurück

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat zwei Verfassungsbeschwerden gegen die Rentenbesteuerung in den Jahren 2008 und 2009 nicht angenommen, da es die Verfassungsbeschwerden für unzulässig hält. Die Verfassungsbeschwerden richteten sich gegen zwei Urteile des Bundesfinanzhofs (BFH).

Hintergrund: Im Jahr 2005 wurde die Rentenbesteuerung grundlegend geändert. Bis 2005 wurde nur ein sog. Ertragsanteil bei der Steuer erfasst, der im Durchschnitt ca. 30 % betrug und aufgrund des Grundfreibetrags häufig keine Steuerfestsetzung auslöste. Da aber Beamte ihre Pensionen in voller Höhe versteuern mussten, wurde die Rentenbesteuerung als verfassungswidrig angesehen und auf eine sog. nachgelagerte Besteuerung umgestellt, sodass alle Renten und Pensionen vollständig besteuert werden sollten. Im Gegenzug können dafür die Rentenversicherungsbeiträge als Sonderausgaben abgesetzt werden. Diese Umstellung auf die nachgelagerte Besteuerung ist nicht sofort erfolgt, sondern wird über viele Jahre Schritt für Schritt vollzogen. Ansonsten wäre die Umstellung für diejenigen Rentner, die 2005 in den Ruhestand gegangen sind, ungerecht gewesen, weil sie ihre Rente in voller Höhe hätten versteuern müssen, ohne die Altersvorsorgebeiträge abgezogen haben zu können. Daher wird der steuerfreie Anteil der Rente jährlich etwas abgeschmolzen. Erst für Rentner, die im Jahr 2040 erstmals eine Rente erhalten werden, gilt dann eine vollständige Steuerpflicht für ihre Rente.

Sachverhalte: In dem einen der beiden Verfahren ging es um einen Steuerberater, der aufgrund eines Antrags in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert blieb. Seine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung hatte er nur begrenzt als Sonderausgaben geltend machen können. Seit 2007 befand sich der Kläger im Ruhestand und bezog eine Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Er machte im Streitjahr 2008 geltend, dass der steuerfreie Anteil seiner Rente von 46 % zu niedrig und geringer sei als die aus seinem versteuerten Einkommen geleisteten Rentenversicherungsbeiträge.

Im zweiten Fall klagte ein Zahnarzt, der freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert war. Im Streitjahr 2009 bezog er eine Altersrente sowie Zusatzleistungen aus der Höherversicherung, mehreren sog. Rürup-Renten und Renten aus privaten Rentenversicherungen. Das Finanzamt besteuerte die Renten nach den gesetzlichen Vorgaben und ließ sie entsprechend teilweise steuerfrei. Auch der Zahnarzt rügte eine Doppelbesteuerung.

Beide Klagen wurden vom BFH abgewiesen. Hiergegen legten der Steuerberater und der Zahnarzt Verfassungsbeschwerden ein.

Entscheidung: Das BVerfG nahm beide Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an, weil es sie für unzulässig hielt:

Das BVerfG ließ offen, ob die beiden Beschwerdeführer das von ihnen geltend gemachte Verbot einer Doppelbesteuerung, das in jedem Einzelfall zu beachten sei, hinreichend substantiiert dargelegt haben. Tatsächlich ist noch nicht klar, ob es ein einzelfallbezogenes Verbot der Doppelbesteuerung gibt oder ob nur eine strukturelle doppelte Besteuerung verhindert werden soll.

Selbst wenn man von einem einzelfallbezogenen Verbot der Doppelbesteuerung ausgehen würde, hätten die beiden Beschwerdeführer weder die von ihnen geltend gemachten Grundrechtsverstöße gegen das Grundrecht für Ehe und Familie sowie gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz hinreichend dargelegt.

  • Soweit eine Bevorzugung von Ledigen gegenüber Verheirateten wegen der Einbeziehung der Hinterbliebenenrente bei der Prüfung einer Doppelbesteuerung gerügt wird, hätten sich die Beschwerdeführer damit auseinandersetzen müssen, dass auch nur Ehegatten eine Hinterbliebenenrente erhalten.
  • Der geltend gemachte Verstoß gegen das Grundrecht auf Familie und Ehe beschränkt sich darauf, dass ein Verstoß gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung und gegen das Gebot der Folgerichtigkeit gerügt wird. Es bleibt dabei unklar, inwieweit der Grundsatz der Individualbesteuerung und das Gebot der Folgerichtigkeit dem Grundrecht auf Familie und Ehe zu entnehmen sind.
  • Schließlich setzt sich auch der geltend gemachte Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht hinreichend mit den vom BVerfG entwickelten Maßstäben auseinander.

Hinweis: Damit steht die Verfassungsmäßigkeit der Rentenbesteuerung in den Jahren 2008 und 2009 endgültig fest. Die aktuellen Entscheidungen des BVerfG lassen den Eindruck entstehen, dass sich das BVerfG nicht näher mit der Rentenbesteuerung der beiden Jahre beschäftigen wollte und deshalb die Verfassungsbeschwerden aus formellen Gründen, nämlich wegen fehlender Darlegung der behaupteten Verfassungsverstöße, nicht angenommen hat.

Für Rentner können sich dennoch künftig Verbesserungen ergeben, weil die beiden BFH-Entscheidungen deutlich gemacht haben, dass künftig eine Doppelbesteuerung drohen könnte. Der Gesetzgeber wird daher voraussichtlich noch Anpassungen im Sinne von Verbesserungen vornehmen müssen.

Quelle: BVerfG, Beschlüsse vom 7.11.2023 – 2 BvR 1143/21 (2009 und Zahnarzt) und 2 BvR 1140/21 (2008 und Steuerberater); NWB

Solidaritätszuschlag noch verfassungsgemäß

Die Erhebung des Solidaritätszuschlags war in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht verfassungswidrig. Dies hat der Bundesfinanzhof (BFH) mit Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20 entschieden.

Hintergrund: Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer. Der Solidaritätszuschlag wurde zunächst 1991 eingeführt. Als Sinn und Zweck der Erhebung sind damals die finanziellen Auswirkungen des Golfkriegs sowie die Mehrbelastungen resultierend aus dem Zusammenbruch der Sowjetunion und der Wiedervereinigung angeführt worden. Dieser (erste) Solidaritätszuschlag betrug maximal 7,5 Prozent und war zeitlich bis zum 30.6.1992 befristet. Er wurde nicht verlängert, so dass er Mitte 1992 auslief.

Der geltende (zweite) Solidaritätszuschlag wird seit dem Jahr 1995 bis heute erhoben. Rechtsgrundlage ist das Solidaritätszuschlagsgesetz 1995 (SolZG 1995). Der Solidaritätszuschlag betrug von 1995 bis 1997 zunächst 7,5 Prozent, ab 1998 5,5 Prozent der festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Er wurde allen Steuerpflichtigen – sowohl in den alten wie auch in den neuen Bundesländern – entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit auferlegt, um in einem solidarischen finanziellen Opfer aller Bevölkerungsgruppen die deutsche Einheit zu finanzieren. Das Aufkommen steht allein dem Bund zu. Bis zum Jahr 2019 wurde der Solidaritätszuschlag kaum verändert.

Mit dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags 1995 (aus dem Jahr 2019) wurde der Zuschlag fortgeführt. Allerdings wurden aus sozialen und konjunkturellen Gründen rund 90 Prozent der Steuerpflichtigen ab dem Jahr 2021 von der Abgabenpflicht befreit. Nur Spitzenverdiener müssen seitdem die Ergänzungsabgabe noch entrichten. In der Begründung des Gesetzes wird ausgeführt, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt, im Bereich der Anspruchs- und Anwartschaftsüberführung und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer. In der Folge sank das Aufkommen aus dem Solidaritätszuschlag von rund 19 Milliarden € im Jahr 2020 auf rund 11 Milliarden im Jahr 2021.

Sachverhalt: Die Kläger wenden sich gegen die Festsetzung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021. Das Finanzamt hatte für das Jahr 2020 einen Bescheid über 2.078 € und für das Jahr 2021 einen Vorauszahlungsbescheid über insgesamt 57 € Solidaritätszuschlag erlassen. Vor dem Finanzgericht hatte das klagende Ehepaar keinen Erfolg. Mit ihrer beim Bundesfinanzhof eingelegten Revision brachten sie vor, die Festsetzung des Solidaritätszuschlags verstoße gegen das Grundgesetz. Sie beriefen sich auf das Auslaufen des Solidarpakts II und damit der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019 sowie die damit zusammenhängende Neuregelung des Länderfinanzausgleichs. Der Solidaritätszuschlag dürfe als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden. Sein Ausnahmecharakter verbiete eine dauerhafte Erhebung. Auch neue Zusatzlasten, die etwa mit der Coronapandemie oder dem Ukraine-Krieg einhergingen, könnten den Solidaritätszuschlag nicht rechtfertigen. Die Erhebung verletze sie zudem in ihren Grundrechten. Bei dem Solidaritätszuschlag handele es sich seit der im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzesänderung um eine verkappte „Reichensteuer“, die gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz verstoße.

Entscheidung: Die Richter des BFH folgten dieser Argumentation nicht:

  • Beim Solidaritätszuschlag handelte es sich in Jahren 2020 und 2021 um eine verfassungsrechtlich zulässige Ergänzungsabgabe; eine Vorlage der Sache an das Bundesverfassungsgericht ist daher nicht geboten.
  • Eine Ergänzungsabgabe (Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes) hat die Funktion, einen zusätzlichen Finanzbedarf des Bundes ohne Erhöhung der übrigen Steuern zu decken. Die Abgabe muss nicht von vornherein befristet werden und der Mehrbedarf für die Ergänzungsabgabe kann sich auch für längere Zeiträume ergeben. Allerdings ist ein dauerhafter Finanzbedarf regelmäßig über die auf Dauer angelegten Steuern und nicht über eine Ergänzungsabgabe zu decken. Deshalb kann eine verfassungsgemäß beschlossene Ergänzungsabgabe dann verfassungswidrig werden, wenn sich die Verhältnisse, die für ihre Einführung maßgeblich waren, grundsätzlich ändern oder wenn eine dauerhafte Finanzierungslücke entstanden ist.
  • Der Solidaritätszuschlag sollte bei seiner Einführung im Jahr 1995 der Abdeckung der im Zusammenhang mit der deutschen Vereinigung entstandenen finanziellen Lasten dienen. Mit dem Auslaufen des Solidarpakts II und der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs zum Jahresende 2019 hat der Solidaritätszuschlag seine Rechtfertigung als Ergänzungsabgabe nicht verloren.
  • Eine zwingende rechtstechnische Verbindung zwischen dem Solidarpakt II, dem Länderfinanzausgleich und dem Solidaritätszuschlag besteht nicht. Zudem bestand in den Streitjahren 2020 und 2021 nach wie vor ein wiedervereinigungsbedingter Finanzbedarf des Bundes. Der Gesetzgeber hat in der Gesetzesbegründung auf diesen fortbestehenden Bedarf, der unter anderem im Bereich der Rentenversicherung und des Arbeitsmarkts gegeben war, hingewiesen. Er hat weiterhin schlüssig dargelegt, dass die Einnahmen aus dem ab 2021 fortgeführten Solidaritätszuschlag zukünftig die fortbestehenden wiedervereinigungsbedingten Kosten nicht decken werden.
  • Dass sich diese Kosten im Laufe der Zeit weiter verringern werden, hat der Gesetzgeber mit der ab dem Jahr 2021 in Kraft tretenden Beschränkung des Solidaritätszuschlags auf die Bezieher höherer Einkommen und der damit verbundenen Reduzierung des Aufkommens in Rechnung gestellt. Aus dem Gesetz zur Rückführung des Solidaritätszuschlags wird daher deutlich, dass der Gesetzgeber diesen nicht unbegrenzt erheben will, sondern nur für eine Übergangszeit. Ein finanzieller Mehrbedarf des Bundes, der aus der Bewältigung einer Generationenaufgabe resultiert, kann auch für einen sehr langen Zeitraum anzuerkennen sein. Dieser Zeitraum ist beim Solidaritätszuschlag jedenfalls 26 bzw. 27 Jahre nach seiner Einführung noch nicht abgelaufen.
  • Da der ursprüngliche Zweck für die Einführung des Solidaritätszuschlags in den Jahren 2020 und 2021 noch nicht entfallen war, kommt es auf eine mögliche Umwidmung des Zuschlags für die Finanzierung der Kosten der Coronapandemie oder des Ukraine-Krieges nicht an.
  • Der Solidaritätszuschlag verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes). Ab dem Jahr 2021 werden aufgrund der erhöhten Freigrenzen nur noch die Bezieher höherer Einkommen mit Solidaritätszuschlag belastet. Die darin liegende Ungleichbehandlung ist aber gerechtfertigt. Bei Steuern, die wie die Einkommensteuer und damit auch der Solidaritätszuschlag an der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen ausgerichtet sind, ist die Berücksichtigung sozialer Gesichtspunkte zulässig. Daher kann auch der Gesetzgeber beim Solidaritätszuschlag, der im wirtschaftlichen Ergebnis eine Erhöhung der Einkommensteuer darstellt, sozialen Gesichtspunkten Rechnung tragen und diesen auf Steuerpflichtige mit hohen Einkünften beschränken. Vor diesem Hintergrund ist die ab 2021 bestehende Staffelung des Solidaritätszuschlags mit Blick auf das Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes gerechtfertigt.

Hinweis: Spannend bleibt, wie es weitergeht. Der unterlegene Kläger hat bereits angekündigt, Verfassungsbeschwerde gegen die Erhebung des Soli einzureichen. Das Bundesverfassungsgericht würde dann selbst die Verfassungsmäßigkeit des Soli prüfen. Wann mit einer solchen Entscheidung zu rechnen ist, ist zurzeit noch nicht absehbar.

Quelle: u.a. BFH, Pressemitteilung vom 30.1.2023 zum Urteil vom 17.1.2023 – IX R 15/20; NWB