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Umsatzsteuer bei unentgeltlicher Wärmeabgabe aus dem Betrieb eines Blockheizkraftwerks

Wird beim Betrieb eines Blockheizkraftwerks ein Teil der produzierten Wärme unentgeltlich abgegeben, muss auf diese unentgeltliche Wertabgabe Umsatzsteuer abgeführt werden. Hierfür sind die Selbstkosten anzusetzen, wenn es mangels Anschlusses an das Fernwärmenetz keinen Einkaufspreis gibt, und auf den Strom und auf die Wärme aufzuteilen. Diese Aufteilung hat nicht nach der in kWh erzeugten Menge an elektrischer und thermischer Energie zu erfolgen, sondern nach den Markwerten für den Strom und für die Wärme.

Hintergrund: Grundsätzlich bemisst sich die Umsatzsteuer nach dem Entgelt. Bei einer unentgeltlichen Wertabgabe gibt es aber kein Entgelt, so dass nach dem Gesetz der Einkaufspreis anzusetzen ist oder – falls es keinen Einkaufspreis gibt – die Selbstkosten.

Streitfall: Der Kläger produzierte mit einem Blockheizkraftwerk Strom und Wärme und speiste den Strom gegen Entgelt in das Netz ein. Gegenüber der Gemeinde verpflichtete sich der Kläger zur unentgeltlichen Abgabe der von ihm produzierten Wärme an verschiedene Gemeindeobjekte wie z.B. die Feuerwehr oder das Pfarrhaus. Dies ermöglichte dem Kläger die Erlangung eines sog. KMK-Bonus. Das Finanzamt unterwarf die unentgeltliche Abgabe der Wärme der Umsatzsteuer. Hierzu teilte es die Selbstkosten des Klägers nach der Gesamtmenge des gelieferten Stroms und der erzeugten Wärme in kWh auf und begrenzte die sich für die Wärme ergebenden Selbstkosten auf den niedrigeren Fernwärmepreis. Auf diese Weise gelangte das Finanzamt in den Streitjahren 2010 bis 2013 zu unentgeltlichen Wertabgaben von ca. 100.000 € bis 150.000 € jährlich. Der Kläger hielt diese Bemessungsgrundlagen für zu hoch.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage im Grundsatz statt, verwies die Sache aber zur weiteren Berechnung an das Finanzgericht (FG) zurück:

  • Die unentgeltliche Abgabe von Wärme an die Gemeinde unterliegt der Umsatzsteuer. Die Bemessungsgrundlage hierfür ist nach dem Gesetz grundsätzlich der Einkaufspreis oder, falls es keinen Einkaufspreis gibt, die Selbstkosten.
  • Einen Einkaufspreis für die Wärme gab es beim Kläger nicht, da er nicht an das Fernwärmenetz angeschlossen war, sondern die Wärme selbst produzierte. Daher waren die Selbstkosten zugrunde zu legen.
  • Die Selbstkosten des Klägers entfielen nicht nur auf die Herstellung der Wärme, sondern auch auf die Herstellung des Stroms. Daher waren die Selbstkosten auf die produzierte Wärme und auf den produzierten Strom aufzuteilen. Diese Aufteilung erfolgt nicht nach der sog. energetischen Methode, d.h. nach der in kWh erzeugten Menge; denn die energetische Methode führt im Ergebnis zu einer Wertbemessung nach den Einkaufspreisen.
  • Vielmehr sind bei der Aufteilung der Selbstkosten die Marktwerte für Strom und Wärme zugrunde zu legen (sog. Marktpreismethode). Diese Methode gilt auch bei der Aufteilung der Vorsteuer. Bei der Marktpreismethode wird auf einen fiktiven Verkaufsumsatz abgestellt, z.B. auf den durchschnittlichen Fernwärmepreis. Dabei können Besonderheiten wie Liefergarantien, Leitungskosten oder regionale Besonderheiten berücksichtigt werden.

Hinweise: Die abschließende Berechnung muss nun das FG durchführen. Allerdings hat der BFH im Urteil bereits ausgeführt, wie diese Berechnung aussehen könnte, darf diese Berechnung aus verfahrensrechtlichen Gründen jedoch nicht seinem Urteil zugrunde legen. Die Berechnung lautet wie folgt:

Die Selbstkosten des Klägers betrugen 641.182 €. Der Kläger erzielte einen Umsatz aus dem Verkauf von Strom in Höhe von 868.873 €. Er entnahm Wärme im Umfang von 2.112.832 kWh. Bei Ansatz eines fiktiven Verkaufspreises auf Grundlage eines durchschnittlichen Fernwärmepreises von 0,0694 €/kWh ergibt sich ein fiktiver Wärme-Umsatz von 146.631 €, so dass der fiktive Gesamtumsatz 1.015.504 € beträgt (868.873 € Strom-Umsatz + 146.631 € Wärme-Umsatz). Der Anteil der Wärme an der gesamten Energie beträgt somit 14,439 % (146.631 € : 1.015.504 €). Folglich sind 14,439 % der Selbstkosten (= 14,439 % x 641.182 €), d.h. 92.580 €, die Bemessungsgrundlage für die entnommene Wärme. Dies ist weniger als die vom Finanzamt jährlich angesetzten 100.000 € bis 150.000 €.

Quelle: BFH, Urteil v. 15.3.2022 – V R 34/20; NWB

Keine Änderung eines Bescheids nach Erledigung der Hauptsache im Klageverfahren

Wird ein Klageverfahren vor dem Finanzgericht mit einer beiderseitigen Erledigung der Hauptsache beendet, wird der Rechtsstreit damit abgeschlossen und der Steuerbescheid bestandskräftig. Zudem endet damit die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsverjährung, und der bisher bestehende Vorbehalt der Nachprüfung entfällt aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung. Etwas anderes kann aber dann gelten, wenn es sich bei der vor Klageerhebung ergangenen Einspruchsentscheidung nur um eine sog. Teileinspruchsentscheidung handelte.

Hintergrund: Das Finanzamt kann über einen Einspruch durch sog. Teileinspruchsentscheidung und damit zunächst nur über einen Teil des Einspruchs entscheiden. Der Rest des Einspruchs, der i.d.R. eine beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige verfassungsrechtliche Frage betrifft, bleibt dann weiterhin anhängig und wird entschieden werden, wenn das BVerfG über die verfassungsrechtliche Frage entschieden hat.

Streitfall: Der Kläger war ein Verein, der Verwaltungsaufgaben für das Bundesamt für Zivildienst erledigte. Der Kläger meldete seine Umsätze für das Streitjahr 2008 zunächst mit dem regulären Umsatzsteuersatz an. Gegen die entsprechende Umsatzsteuerfestsetzung legte der Kläger am 22.10.2009 Einspruch ein und machte den ermäßigten Umsatzsteuersatz geltend. Wegen eines anhängigen Revisionsverfahrens zum Umsatzsteuersatz wurde das Ruhen des Einspruchsverfahrens angeordnet. Ein Jahr später änderte das Finanzamt die Umsatzsteuerfestsetzung für 2008 aus einem anderen Grund, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Kläger sein Personal beköstigt hatte. Gegen diesen Änderungsbescheid legte der Kläger am 22.12.2010 ebenfalls Einspruch ein. Am 1.6.2012 wies das Finanzamt den Einspruch zurück. Dabei bezog sich das Finanzamt auf den Einspruch vom 22.12.2010. Hiergegen klagte der Kläger. Im Klageverfahren erkannte das Finanzamt die Beköstigung als umsatzsteuerfrei an, und der Kläger sowie der Beklagte erklärten den Rechtsstreit am 31.7.2013 in der Hauptsache für erledigt. Im Jahr 2014 beantragte der Kläger eine Änderung des Umsatzsteuerbescheids, nachdem das Revisionsverfahren zur Höhe des Umsatzsteuersatzes entschieden worden war; der Kläger machte nun die Umsatzsteuerfreiheit für seine Umsätze geltend. Diesen Antrag lehnte das Finanzamt ab, und der Kläger erhob Klage.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof wies die Klage ab, da für 2008 bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war:

  • Die vom Kläger und vom Finanzamt im vorherigen Klageverfahren am 31.7.2013 erklärte Erledigung der Hauptsache führte zur Bestandskraft der Umsatzsteuerfestsetzung 2008 und beendete die Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist. Damit trat mit Ablauf des 31.12.2013 Festsetzungsverjährung ein. Hierdurch entfiel auch der Vorbehalt der Nachprüfung. Eine Änderung der Umsatzsteuerfestsetzung 2008 war verfahrensrechtlich nicht mehr möglich.
  • Die Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012 war auch keine Teileinspruchsentscheidung. Bei einer Teileinspruchsentscheidung wäre der noch nicht entschiedene Teil des Einspruchs anhängig geblieben.
  • Zum einen war die Einspruchsentscheidung nicht als „Teileinspruchsentscheidung“ bezeichnet. Zum anderen wurde auch der Einspruch insgesamt zurückgewiesen und nicht nur ein Teil des Einspruchs. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass der Einspruch insgesamt entscheidungsreif gewesen war; der Erlass einer Teileinspruchsentscheidung wäre daher nicht sachdienlich gewesen. Unbeachtlich ist somit, dass in der Einspruchsentscheidung nur der Einspruch vom 22.12.2010 und nicht der Einspruch vom 22.10.2009 genannt wurde.

Hinweise: Der Einspruch vom 22.12.2010 war unzulässig, da der Kläger bereits am 22.10.2009 Einspruch eingelegt hatte. Man kann gegen eine Festsetzung nur einmal zulässig Einspruch einlegen. Dieser Einspruch erfasst dann auch Änderungsbescheide, so dass nicht erneut Einspruch gegen den Änderungsbescheid eingelegt werden muss; ein weiterer Einspruch wäre unzulässig.

Das Urteil macht deutlich, dass man Streitpunkte in einem Einspruchs- und Klageverfahren möglichst umfassend klären und nicht darauf vertrauen sollte, dass diese noch in einem späteren Verfahren geklärt werden können.

Quelle: BFH, Urteil v. 17.3.2022 – XI R 39/19; NWB

Grunderwerbsteuer bei Kauf eines mit Weihnachtsbaumkultur bepflanzten Grundstücks

Beim Verkauf eines Grundstücks, das mit einer Weihnachtsbaumkultur bepflanzt ist und dessen Weihnachtsbäume bei Erreichen der erforderlichen Größe gefällt werden sollen, bemisst sich die Grunderwerbsteuer nur nach dem Kaufpreis für das Grundstück ohne Weihnachtsbäume. Die Weihnachtsbäume sind nämlich Scheinbestandteile des Grundstücks und gehören daher rechtlich nicht zum Grundstück.

Hintergrund: Die Grunderwerbsteuer richtet sich beim Kauf eines Grundstücks nach dem Kaufpreis für das Grundstück. Zum Grundstück gehören dessen wesentliche Bestandteile, nicht aber Scheinbestandteile.

Streitfall: Der Kläger erwarb zwei Grundstücke zum Gesamtpreis von ca. 340.000 €. Der Kaufpreis enthielt einen Anteil von ca. 87.000 € für den sog. Aufwuchs; dabei handelte es sich um Nordmanntannen und Blaufichten, die als Weihnachtsbäume gefällt werden sollten. Das Finanzamt setzte 6,5 % Grunderwerbsteuer auf den Gesamtkaufpreis von 340.000 € fest. Der Kläger wandte sich dagegen, dass auch der Anteil von 87.000 € für den Aufwuchs der Grunderwerbsteuer unterworfen wurde.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab der Klage statt:

  • Bezieht sich ein Grundstückskaufvertrag auch auf Gegenstände, die rechtlich nicht als Teil des Grundstücks gelten, darf Grunderwerbsteuer nur nach dem Teil des Kaufpreises bemessen werden, der auf das Grundstück entfällt.
  • Zum Grundstück gehören grundsätzlich auch Erzeugnisse, solange sie mit dem Boden zusammenhängen, z.B. Pflanzen oder Bäume.
  • Anders ist dies bei Scheinbestandteilen, die nur vorübergehend mit dem Grundstück verbunden sind. Zu den Scheinbestandteilen gehören auch Weihnachtsbaumkulturen, da die Weihnachtsbäume gefällt werden sollen und nicht dauerhaft auf dem Grundstück stehen sollen. Das nur vorübergehende Verbleiben der Weihnachtsbäume steht von Anfang fest.
  • Die Grunderwerbsteuer war daher auf einer Bemessungsgrundlage von 253.000 € (340.000 € abzüglich 87.000 €) festzusetzen.

Hinweise: Auf die Dauer des Aufwachsens des Weihnachtsbaums kommt es nicht an. Ein Scheinbestandteil liegt also auch dann vor, wenn die spätere Wiedertrennung erst nach langer Dauer zu erwarten ist. Es ist für die Annahme eines Scheinbestandteils auch nicht erforderlich, dass die Scheinbestandteilseigenschaft auf den ersten Blick erkennbar ist.

Auch Verkaufspflanzen in Baumschulen gelten als Scheinbestandteile, da sie vollständig entfernt werden sollen, wenn sie eine bestimmte Größe erreicht haben. Im Gegensatz zu Weihnachtsbäumen werden Baumschulgewächse durch das Entfernen nicht vollständig zerstört, sondern leben beim Käufer weiter. Für die Einstufung als Scheinbestandteil kommt es nicht darauf an, ob die Pflanze bzw. der Baum lebensfähig bleibt oder ob ein nicht mehr lebensfähiger Rest zurückbleibt (z.B. Wurzeln mit Baumstumpf). Offengelassen hat der BFH die Frage, ob ein Scheinbestandteil dann auch vorliegt, wenn der Baum trotz des Fällens als lebensfähiger Organismus bestehen bleibt und wieder ausschlägt.

Quelle: BFH, Urteil v. 23.2.2022 – II R 45/19; NWB

Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge, soweit sie ab dem 1.1.2019 entstanden sind. Der BFH gewährt daher insoweit Aussetzung der Vollziehung in voller Höhe.

Hintergrund: Bei einer verspäteten Zahlung von Steuern werden Säumniszuschläge in Höhe von 1 % monatlich des rückständigen Betrags fällig, d.h. jährlich 12 %. Säumniszuschläge sind also doppelt so hoch wie die für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 geltenden Nachzahlungszinsen, die monatlich 0,5 % betrugen, und mehr als sechsmal so hoch wie der neue Zinssatz von monatlich 0,15 %, der für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 gilt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im letzten Jahr die Höhe des Zinssatzes von 6 % für Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab 1.1.2019 für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat deshalb rückwirkend ab 1.1.2019 den Zinssatz auf 0,15 % monatlich bzw. 1,8 % jährlich gemindert.

Streitfall: Die Antragstellerin schuldete Umsatzsteuer für die Zeiträume Mai 2013 sowie 2014 bis 2017. Sie beantragte einen Abrechnungsbescheid, in dem das Finanzamt Säumniszuschläge in Höhe von 12 % jährlich auswies; die Säumniszuschläge waren teilweise erst ab dem 1.1.2019 entstanden. Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, da sie die Höhe der Säumniszuschläge für verfassungswidrig hält.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt, soweit es um die seit dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschläge geht. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der bis zum 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge, wies der BFH den Antrag zurück:

  • Säumniszuschläge haben sowohl eine Druck- als auch eine Verzinsungsfunktion: Zum einen sollen sie den Steuerpflichtigen unter Druck setzen, die Steuer pünktlich zu zahlen. Zum anderen sollen sie im Fall der verspäteten Zahlung eine Gegenleistung darstellen (zinsähnliche Funktion).
  • Bezüglich dieser Verzinsungsfunktion bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge. Dies folgt aus der Entscheidung des BVerfG zur Höhe des Zinssatzes bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019. Danach ist der Zinssatz von 6 % für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 verfassungswidrig.
  • Zwar betrifft die Entscheidung des BVerfG nur die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, nicht aber die Säumniszuschläge. Dennoch ist es denkbar, dass die vom BVerfG für Zinsen entwickelten Grundsätze auch für Säumniszuschläge gelten, soweit diese eine zinsähnliche Funktion haben. Damit bestehen ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit.
  • Die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids, in dem die Säumniszuschläge ausgewiesen werden, wird in voller Höhe gewährt, soweit die Säumniszuschläge ab dem 1.1.2019 entstanden sind. Denn die Höhe der Säumniszuschläge kann nur insgesamt verfassungswidrig oder verfassungsgemäß sein.
  • Hinsichtlich der bis zum 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge hatte der Antrag keinen Erfolg, da das BVerfG den Zinssatz für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 im Ergebnis für verfassungsgemäß gehalten hat.

Hinweise: Auch wenn der Aussetzungsantrag Erfolg gehabt hat, macht der BFH deutlich, dass es sich nur um eine vorläufige Entscheidung ohne eine bestimmte Tendenz handelt und dass eine abschließende Entscheidung erst im Hauptsacheverfahren getroffen werden kann. Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich also allein daraus, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit offen ist.

In der Praxis empfiehlt es sich bei säumiger Zahlung, einen Abrechnungsbescheid zu beantragen, in dem die Säumniszuschläge ausgewiesen werden, und dann unter Hinweis auf den aktuellen BFH-Beschluss Einspruch einzulegen und ggf. auch Aussetzung der Vollziehung zu beantragen, falls eine Zahlung der Säumniszuschläge zunächst vermieden werden soll.

Quelle: BFH, Beschluss v. 23.5.2022 – V B 4/22 (AdV); NWB

Zuständigkeit des Finanzgerichts für Schadensersatzklage bei Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung

Für eine Schadensersatzklage, die wegen Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erhoben wird, ist das Finanzgericht zuständig. Es handelt sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch, für den das Landgericht zuständig wäre.

Hintergrund: Nach der sog. Datenschutz-Grundverordnung hat jeder Steuerpflichtige, dem wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein immaterieller oder materieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter.

Streitfall: Der Kläger hat beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben und Schadensersatz wegen eines Verstoßes des Finanzamts gegen die Datenschutz-Grundverordnung geltend gemacht. Das FG hat die Klage an das örtliche Landgericht (LG) verwiesen. Gegen diesen Verweisungsbeschluss haben sowohl der Kläger als auch das Finanzamt Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab beiden Beschwerden statt und bejahte die Zuständigkeit des FG:

  • Für Schadensersatzansprüche auf der Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung ist das Finanzgericht zuständig. Denn im Verfahrensrecht ist ausdrücklich der Finanzrechtsweg für Klagen hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden genannt.
  • Bei einer Klage auf der Grundlage eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung geht es um die Verarbeitung personenbezogener Daten.
  • Die vom Kläger erhobene Klage ist keine Amtshaftungsklage, für die das LG zuständig wäre. Ein Amtshaftungsanspruch betrifft das Fehlverhalten eines Amtsträgers, für das der Staat einstehen muss. Ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung richtet sich hingegen von vornherein gegen den Staat, also nicht gegen den Amtsträger.
  • Das FG bleibt daher für die Klage zuständig und muss entscheiden, ob der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen das Finanzamt wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung hat.

Hinweise: Ein Steuerpflichtiger kann nach dem Urteil sowohl eine Klage beim Finanzgericht wegen Verstoßes des Finanzamts gegen die Datenschutz-Grundverordnung als auch eine Klage beim Landgericht wegen eines Amtshaftungsanspruchs aufgrund einer Pflichtverletzung eines Amtsträgers erheben.

Mit seiner Entscheidung widerspricht der BFH dem Hessischen Landessozialgericht, das in dem auf die Datenschutz-Grundverordnung gestützten Anspruch einen Amtshaftungsanspruch sieht und damit die Zuständigkeit des Landgerichts bejaht hat.

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hat der BFH abgelehnt.

Da sowohl der Kläger als auch das Finanzamt mit ihren Beschwerden Erfolg gehabt haben, gab es keine Kostenentscheidung und damit keine Kostenlast für einen der Beteiligten. Denn es gab keinen Verlierer.

Quelle: BFH, Beschluss v. 28.6.2022 – II B 92/21; NWB