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Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge, soweit sie ab dem 1.1.2019 entstanden sind. Der BFH gewährt daher insoweit Aussetzung der Vollziehung in voller Höhe.

Hintergrund: Bei einer verspäteten Zahlung von Steuern werden Säumniszuschläge in Höhe von 1 % monatlich des rückständigen Betrags fällig, d.h. jährlich 12 %. Säumniszuschläge sind also doppelt so hoch wie die für Verzinsungszeiträume bis 31.12.2018 geltenden Nachzahlungszinsen, die monatlich 0,5 % betrugen, und mehr als sechsmal so hoch wie der neue Zinssatz von monatlich 0,15 %, der für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 gilt. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im letzten Jahr die Höhe des Zinssatzes von 6 % für Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab 1.1.2019 für verfassungswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat deshalb rückwirkend ab 1.1.2019 den Zinssatz auf 0,15 % monatlich bzw. 1,8 % jährlich gemindert.

Streitfall: Die Antragstellerin schuldete Umsatzsteuer für die Zeiträume Mai 2013 sowie 2014 bis 2017. Sie beantragte einen Abrechnungsbescheid, in dem das Finanzamt Säumniszuschläge in Höhe von 12 % jährlich auswies; die Säumniszuschläge waren teilweise erst ab dem 1.1.2019 entstanden. Gegen den Abrechnungsbescheid legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die Aussetzung der Vollziehung, da sie die Höhe der Säumniszuschläge für verfassungswidrig hält.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung statt, soweit es um die seit dem 1.1.2019 entstandenen Säumniszuschläge geht. Im Übrigen, d.h. hinsichtlich der bis zum 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge, wies der BFH den Antrag zurück:

  • Säumniszuschläge haben sowohl eine Druck- als auch eine Verzinsungsfunktion: Zum einen sollen sie den Steuerpflichtigen unter Druck setzen, die Steuer pünktlich zu zahlen. Zum anderen sollen sie im Fall der verspäteten Zahlung eine Gegenleistung darstellen (zinsähnliche Funktion).
  • Bezüglich dieser Verzinsungsfunktion bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge. Dies folgt aus der Entscheidung des BVerfG zur Höhe des Zinssatzes bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019. Danach ist der Zinssatz von 6 % für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 verfassungswidrig.
  • Zwar betrifft die Entscheidung des BVerfG nur die Nachzahlungs- und Erstattungszinsen, nicht aber die Säumniszuschläge. Dennoch ist es denkbar, dass die vom BVerfG für Zinsen entwickelten Grundsätze auch für Säumniszuschläge gelten, soweit diese eine zinsähnliche Funktion haben. Damit bestehen ernstliche Zweifel an deren Rechtmäßigkeit.
  • Die Aussetzung der Vollziehung des Abrechnungsbescheids, in dem die Säumniszuschläge ausgewiesen werden, wird in voller Höhe gewährt, soweit die Säumniszuschläge ab dem 1.1.2019 entstanden sind. Denn die Höhe der Säumniszuschläge kann nur insgesamt verfassungswidrig oder verfassungsgemäß sein.
  • Hinsichtlich der bis zum 31.12.2018 entstandenen Säumniszuschläge hatte der Antrag keinen Erfolg, da das BVerfG den Zinssatz für Verzinsungszeiträume bis zum 31.12.2018 im Ergebnis für verfassungsgemäß gehalten hat.

Hinweise: Auch wenn der Aussetzungsantrag Erfolg gehabt hat, macht der BFH deutlich, dass es sich nur um eine vorläufige Entscheidung ohne eine bestimmte Tendenz handelt und dass eine abschließende Entscheidung erst im Hauptsacheverfahren getroffen werden kann. Die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge ergeben sich also allein daraus, dass die Frage der Verfassungsmäßigkeit offen ist.

In der Praxis empfiehlt es sich bei säumiger Zahlung, einen Abrechnungsbescheid zu beantragen, in dem die Säumniszuschläge ausgewiesen werden, und dann unter Hinweis auf den aktuellen BFH-Beschluss Einspruch einzulegen und ggf. auch Aussetzung der Vollziehung zu beantragen, falls eine Zahlung der Säumniszuschläge zunächst vermieden werden soll.

Quelle: BFH, Beschluss v. 23.5.2022 – V B 4/22 (AdV); NWB

Zuständigkeit des Finanzgerichts für Schadensersatzklage bei Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung

Für eine Schadensersatzklage, die wegen Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung erhoben wird, ist das Finanzgericht zuständig. Es handelt sich nicht um einen Amtshaftungsanspruch, für den das Landgericht zuständig wäre.

Hintergrund: Nach der sog. Datenschutz-Grundverordnung hat jeder Steuerpflichtige, dem wegen eines Verstoßes gegen diese Verordnung ein immaterieller oder materieller Schaden entstanden ist, einen Anspruch auf Schadensersatz gegen den Verantwortlichen oder Auftragsverarbeiter.

Streitfall: Der Kläger hat beim Finanzgericht (FG) Klage erhoben und Schadensersatz wegen eines Verstoßes des Finanzamts gegen die Datenschutz-Grundverordnung geltend gemacht. Das FG hat die Klage an das örtliche Landgericht (LG) verwiesen. Gegen diesen Verweisungsbeschluss haben sowohl der Kläger als auch das Finanzamt Beschwerde beim Bundesfinanzhof (BFH) erhoben.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) gab beiden Beschwerden statt und bejahte die Zuständigkeit des FG:

  • Für Schadensersatzansprüche auf der Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung ist das Finanzgericht zuständig. Denn im Verfahrensrecht ist ausdrücklich der Finanzrechtsweg für Klagen hinsichtlich der Verarbeitung personenbezogener Daten gegen Finanzbehörden genannt.
  • Bei einer Klage auf der Grundlage eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung geht es um die Verarbeitung personenbezogener Daten.
  • Die vom Kläger erhobene Klage ist keine Amtshaftungsklage, für die das LG zuständig wäre. Ein Amtshaftungsanspruch betrifft das Fehlverhalten eines Amtsträgers, für das der Staat einstehen muss. Ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage der Datenschutz-Grundverordnung richtet sich hingegen von vornherein gegen den Staat, also nicht gegen den Amtsträger.
  • Das FG bleibt daher für die Klage zuständig und muss entscheiden, ob der Kläger einen Schadensersatzanspruch gegen das Finanzamt wegen eines Verstoßes gegen die Datenschutz-Grundverordnung hat.

Hinweise: Ein Steuerpflichtiger kann nach dem Urteil sowohl eine Klage beim Finanzgericht wegen Verstoßes des Finanzamts gegen die Datenschutz-Grundverordnung als auch eine Klage beim Landgericht wegen eines Amtshaftungsanspruchs aufgrund einer Pflichtverletzung eines Amtsträgers erheben.

Mit seiner Entscheidung widerspricht der BFH dem Hessischen Landessozialgericht, das in dem auf die Datenschutz-Grundverordnung gestützten Anspruch einen Amtshaftungsanspruch sieht und damit die Zuständigkeit des Landgerichts bejaht hat.

Eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof hat der BFH abgelehnt.

Da sowohl der Kläger als auch das Finanzamt mit ihren Beschwerden Erfolg gehabt haben, gab es keine Kostenentscheidung und damit keine Kostenlast für einen der Beteiligten. Denn es gab keinen Verlierer.

Quelle: BFH, Beschluss v. 28.6.2022 – II B 92/21; NWB

Erbschaftsteuer: Beendigung der Selbstnutzung eines geerbten Familienheims wegen Depressionen

Die Erbschaftsteuerbefreiung für ein vererbtes Familienheim ist rückgängig zu machen, wenn der Erbe die Selbstnutzung vor Ablauf von zehn Jahren beendet, obwohl ihm die Selbstnutzung in dem Familienheim weder objektiv unmöglich noch objektiv unzumutbar geworden ist. Eine depressive Erkrankung des Erben kann die vorzeitige Beendigung der Selbstnutzung rechtfertigen, wenn die Erkrankung so schwerwiegend ist, dass es dem Erben nicht mehr zugemutet werden kann, in dem geerbten Familienheim weiterzuwohnen.

Hintergrund: Die Vererbung eines Familienheims, das vom Erblasser zu eigenen Wohnzwecken genutzt worden war, an einen Ehegatten ist erbschaftsteuerfrei, sofern der Ehegatte das Familienheim anschließend für mindestens zehn Jahre selbst zu Wohnzwecken nutzt. Beendet der überlebende Ehegatte die Selbstnutzung innerhalb von zehn Jahren, ohne dass hierfür zwingende Gründe vorliegen, wird die Steuerbefreiung rückgängig gemacht.

Streitfall: Die Klägerin hatte mit ihrem Ehemann bis zu dessen Tod im März 2017 im gemeinsamen Einfamilienhaus gewohnt. Sie erhielt mit dem Tod des Ehemanns aufgrund eines Vermächtnisses die ihm gehörende Hälfte des Hauses und blieb in dem Haus wohnen. Das Finanzamt gewährte der Klägerin die Steuerbefreiung für Familienheime. Anfang 2018 zog die Klägerin aus und verkaufte das Einfamilienhaus. Sie begründete ihren Auszug mit einer Depression, die sich durch den Tod ihres Ehemannes verschärft habe. Das Finanzamt machte daraufhin die Steuerbefreiung für das geerbte Einfamilienhaus rückgängig.

Entscheidung: Der Bundesfinanzhof (BFH) verwies die Sache an das Finanzgericht (FG) zur weiteren Aufklärung zurück:

  • Die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung lagen zunächst vor. Der Ehemann hatte das Einfamilienhaus zu eigenen Wohnzwecken genutzt, und auch die Klägerin nutzte das Einfamilienhaus nach dem Tod ihres Ehemannes zu eigenen Wohnzwecken.
  • Allerdings hat die Klägerin die Selbstnutzung vor Ablauf von zehn Jahren beendet, nämlich nach bereits einem Jahr. Dies wäre steuerlich nur dann unschädlich, wenn sie aus zwingenden Gründen an einer Selbstnutzung gehindert war. Die Selbstnutzung des geerbten Familienheims müsste der Klägerin entweder objektiv unmöglich oder aber objektiv unzumutbar gewesen sein. Es genügt nicht, dass die Klägerin die Selbstnutzung in persönlicher oder wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr für zweckmäßig hielt.
  • Ein zwingender Grund kann in dem Gesundheitszustand der Klägerin zu sehen sein. Ob dies der Fall ist, muss unter Heranziehung eines ärztlichen Gutachtens beurteilt werden. Dies muss das FG im zweiten Rechtsgang entscheiden und dabei feststellen, ob die Depression erst nach einer gewissen Zeit der Selbstnutzung aufgetreten und deutlich geworden ist.

Hinweise: Auch die Pflegebedürftigkeit kann ein Grund sein, die Selbstnutzung des geerbten Familienheims zu beenden und vor Ablauf von zehn Jahren auszuziehen. Allerdings muss die Pflegebedürftigkeit dann so groß sein, dass selbst unter Heranziehung externer Hilfe- und Pflegeleistungen von einer selbständigen Haushaltsführung des Erben nicht mehr gesprochen werden kann.

Der schlechte bauliche Zustand eines Hauses/einer Wohnung begründet hingegen keinen zwingenden Grund; denn bauliche Mängel können behoben bzw. – wenn bauliche Anpassungen infolge des Gesundheitszustands des Erben erforderlich sein sollten – den veränderten Lebensumständen angepasst werden.

Sollte im Streitfall eine Steuerbefreiung zu bejahen sein, wäre es unschädlich, dass die Klägerin das Haus nach der Beendigung der Selbstnutzung verkauft hat.

Quelle: BFH, Urteil v. 1.12.2021 – II R 1/21; NWB

Eckpunkte für ein Inflationsausgleichsgesetz

Das BMF hat am 10.8.2022 die Eckpunkte für ein Inflationsausgleichsgesetz vorgestellt. Mit dem Vorhaben sollen inflationsbedingte steuerliche Mehrbelastungen ausgeglichen werden, indem die Steuerlast an die Inflation angepasst wird. Profitieren sollen rund 48 Millionen Steuerpflichtige – Arbeitnehmer, Rentner, Selbstständige sowie Unternehmer. Bewusst ausgenommen davon sind jedoch besonders hohe Einkommen, für die der sog. Reichensteuersatz von 45 Prozent greift.

Mit den Änderungen sollen nicht nur steuerliche Mehrbelastungen vermieden werden, sondern für zahlreiche Menschen bedeuten sie auch weniger Verwaltungsaufwand: Für mehr als 270.00 Bürger soll damit auch die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung wegfallen. Das betrifft u.a. rund 75.000 Rentner.

Die Eckpunkte für ein Inflationsausgleichsgesetz sehen im Einzelnen insbesondere folgende Änderungen vor:

Höherer Grundfreibetrag:

  • Zum 1.1.2023 ist eine Anhebung um 285 € auf 10.632 € vorgesehen.
  • Für 2024 ist eine weitere Anhebung um 300 € auf 10.932 € vorgeschlagen.

Ausgleich der kalten Progression:

  • Die sog. Tarifeckwerte sollen entsprechend der erwarteten Inflation nach rechts verschoben werden. Das heißt, der Spitzensteuersatz soll 2023 bei 61.972 statt bisher 58.597 € greifen, 2024 soll er ab 63.515 € beginnen.
  • Besonders hohe Einkommen (sog. Reichensteuersatz) ab 277.836 € sind ausdrücklich von dieser Anpassung ausgenommen.
  • Im Durchschnitt sollen Arbeitnehmer dadurch im nächsten Jahr 193 € mehr netto haben als in diesem Jahr, wenn sich ihr Einkommen nicht ändert.

Unterstützung von Familien:

  • Der Kinderfreibetrag soll schrittweise für jeden Elternteil von 2022 bis 2024 um insgesamt 264 € erhöht werden, bis er zum 1.1.2024 bei 2.994 € liegt.
  • Das Kindergeld soll in den Jahren 2023 bis 2024 schrittweise erhöht werden: Ab dem 1. Januar 2024 soll es monatlich für das erste, zweite und dritte Kind einheitlich 233 € betragen, für das vierte und jedes weitere Kind 250 €. Die Erhöhung des Kindergeldes soll auch für einkommensschwache Familien gelten, welche keine Einkommensteuer zahlen.

Anhebung des Unterhalthöchstbetrags:

  • Der Unterhalthöchstbetrag für 2022 soll von 9.984 € auf 10.347 € angehoben werden. So können mehr Kosten, die etwa für Berufsausbildung oder Unterhalt für eine unterhaltberechtigte Person anfallen, steuerlich geltend gemacht werden. Zukünftige Anpassungen werden automatisiert.

Hinweise: Bei den Eckpunkten für ein Inflationsausgleichsgesetz wurden die Daten der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung zu Grunde gelegt. Wenn der Progressionsbericht beziehungsweise die Daten der Herbstprojektion vorliegen, ist eine Anpassung im parlamentarischen Verfahren für ein Inflationsausgleichsgesetz möglich.

Die Pläne müssen nun noch in ein Gesetz einfließen und auch tatsächlich verabschiedet werden.

Weitere Infos zum Thema (das Eckpunktepapier selbst, Berechnungsbeispiele zur Entlastung sowie FAQ zur kalten Progression sind auf der Homepage des BMF veröffentlicht.

Quelle: BMF online, Meldung v. 10.8.2022, NWB

Endgültige Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019

Dem Finanzgericht Hamburg (FG) zufolge darf das Finanzamt die Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 nicht mit einem Vorläufigkeitsvermerk versehen, wenn es eine vorläufige Festsetzung wegen des gesetzlichen Vertrauensschutzes ohnehin nicht mehr zulasten des Steuerpflichtigen ändern dürfte.

Hintergrund: Steuernachzahlungen und -erstattungen werden verzinst. Der bisherige Zinssatz von 6 % ist vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Juli 2021 für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 als verfassungswidrig angesehen worden. Er ist inzwischen durch einen neuen, niedrigeren Zinssatz in Höhe von 1,8 % jährlich ersetzt worden.

Streitfall: Das Finanzamt setzte gegenüber dem Kläger am 7.10.2019 Erstattungszinsen in Höhe von 6 % für den Verzinsungszeitraum ab 1.1.2019 vorläufig fest. Der Kläger legte gegen die Zinsfestsetzung Einspruch ein und beantragte die Aufhebung des Vorläufigkeitsvermerks. Nachdem der Einspruch keinen Erfolg gehabt hatte, klagte er. Im Klageverfahren hob das Finanzamt die Zinsfestsetzung auf und setzte sie bis zu einer gesetzlichen Neuregelung aus. Der Kläger richtete seine Klage nun auch gegen die Aussetzung der Zinsfestsetzung.

Entscheidung: Das FG gab der Klage statt:

  • Der Vorläufigkeitsvermerk war aufzuheben. Ein Vorläufigkeitsvermerk kann angebracht werden, wenn die verfassungsrechtliche Lage unsicher ist und wenn nach Klärung der verfassungsrechtlichen Frage der Bescheid geändert werden soll.
  • Zwar war bei Erlass der Zinsfestsetzung im Oktober 2019 verfassungsrechtlich noch nicht geklärt, ob der Zinssatz von 6 % verfassungsgemäß ist. Selbst wenn das BVerfG aber den Zinssatz von 6 % als verfassungswidrig einstufen würde – was es im Jahr 2021 dann auch getan hat –, hätte das Finanzamt die Zinsfestsetzung zulasten des Klägers trotz des Vorläufigkeitsvermerks nicht mehr ändern dürfen. Denn vor einer nachteiligen Änderung ist der Kläger aufgrund des gesetzlichen Vertrauensschutzes geschützt; dieser besagt, dass eine Festsetzung nicht zum Nachteil des Steuerpflichtigen geändert werden darf, wenn das BVerfG eine Regelung als verfassungswidrig ansieht.
  • Auch die im Klageverfahren erfolgte Aufhebung der Festsetzung der Erstattungszinsen und die anschließende Aussetzung der Festsetzung war rechtswidrig. Nach der Verwaltungsanweisung des Bundesfinanzministeriums durften die Finanzämter die Zinsfestsetzung nur im Fall einer erstmalig zu erfolgenden Festsetzung vornehmen, nicht aber bei einer bereits erfolgten Festsetzung. Damit hat das Finanzamt sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt.

Hinweise: Aufgrund der Klagestattgabe werden die Erstattungszinsen in Höhe von 6 % nun endgültig gegenüber dem Kläger festgesetzt.

Das Urteil des FG ist für Steuerpflichtige wichtig, die bereits eine Festsetzung von Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume ab 1.1.2019 in den Händen halten. Denn nach dem FG hat der Steuerpflichtige in diesem Fall einen Anspruch auf eine endgültige Festsetzung. Außerdem macht das FG deutlich, dass der gesetzliche Vertrauensschutz auch bei einem Vorläufigkeitsvermerk vor einer nachteiligen Änderung schützt.

Erstattungszinsen für Verzinsungszeiträume vor dem 1.1.2019 werden durch die Entscheidung des BVerfG ohnehin nicht berührt und bleiben in Höhe von 6 % jährlich bestehen. Denn das BVerfG hat die Verfassungswidrigkeit nur für Verzinsungszeiträume ab dem 1.1.2019 ausgesprochen.

Quelle: FG Hamburg, Urteil v, 14.4.2022 – 1 K 126/20; NWB